Alle reden von Arbeiten 4.0: Andrea Nahles gibt ein Grünbuch heraus, ihr Ministerium startet einen bundesweiten Dialog. Politik, Industrie und Wissenschaft diskutieren Veränderungen der Arbeitswelt. Aber was ist eigentlich genau und wie sehr betrifft das Thema kleine und mittelständische Unternehmen?
Darum geht es
Der Begriff Arbeiten 4.0 hat sich analog zum Begriff Industrie 4.0 herausgebildet. Damit ist das letzte von vier großen industriellen Zeitaltern gemeint:
Während Industrie 4.0 die technischen Veränderungen meint, beschäftigt sich Arbeiten 4.0 mit deren Auswirkungen auf die arbeitenden Menschen.
Schon jetzt ist ein Viertel der deutschen Produktion automatisiert. Menschen kooperieren mit Robotern, monotone Arbeiten entfallen und komplexe Aufgaben kommen hinzu. Das Internet der Dinge und die intelligente Automatisierung ersetzen Wissensarbeiter und Dienstleister – das ist ein wesentlicher Unterschied zu früheren Automatisierungsprozessen.
Im Zuge der Internationalisierung und globalen Verfügbarkeit von Informationen werden Entwicklung, Produktion und Logistik komplexer, internationaler und schneller. Preise und Leistungen lassen sich global vergleichen und erhöhen den Handlungsdruck. Unternehmen müssen schnell entscheiden und im weltweiten Vergleich bestehen. Big Data -also die Sammlung und Auswertung riesiger Datenmengen – beeinflusst Arbeit ebenso wie immer flexiblere Rahmenbedingungen. Waren bislang unbefristete Vollzeitstellen die Norm, verschwimmen jetzt die Grenzen zwischen Arbeits- und Wohnort, Abhängigkeit und Selbstständigkeit, Arbeiten und Lernen. Viele Arbeitende wünschen sich beweglichere Strukturen. Sie betrachten Arbeit nicht mehr als Ort, sondern als Aufgabe. Wo und wie diese zu erfüllen ist, legen sie zunehmend selbst fest. Arbeitsorganisation ist heute projektorientiert und braucht kaum Hierarchien. Schon jetzt agieren Teams gemeinsam über Ländergrenzen und Kontinente hinweg.
Alles ferne Zukunftsmusik? Von wegen!
Der Wandel hat längst begonnen. Es gibt schon Smart Factories; in denen intelligente Fertigungsanlagen und Logistiksysteme sich selbst organisieren und ohne menschliche Bedienung arbeiten. Zugleich existieren noch traditionelle Handwerksbetriebe mit klassischen Führungsstrukturen, manchmal auch zusammen in einem Betrieb. Dieses Nebeneinander erfordert besondere Führungskompetenz, in manchen Unternehmen sind neue und alte Stärken zugleich gefragt. Der gesellschaftliche Wertewandel verläuft nicht gleichmäßig und spaltet selbst die Generation Y. Während die einen mitgestalten wollen, wünschen sich die anderen eine Führung der „alten Schule“.
6 Thesen – So könnte es weitergehen
Veränderungen in der Arbeit hat es gegeben, solange es Arbeit gibt. Warum der aktuelle Wandel so fundamental erscheint, beschreiben die folgenden Thesen:
1. Arbeiten wird spannender als je zuvor
Kühne Prognosen besagen, dass Roboter und Computerprogramme bald jeden zweiten Arbeitsplatz ersetzen. Und zwar nicht nur in der Produktion, wie wir das bisher kannten. Sondern überall, wo sich Abläufe standardisieren lassen: Im Dienstleistungsbereich, aber erstmals auch in akademischen Berufen übernehmen Computer Routineaufgaben und Vorhersehbares. So sind schon seit 2008 in Nürnberg die ersten fahrerlosen U-Bahnen unterwegs, unbemannte LKWs werden bereits getestet und bald kommen Roboter, Drohnen und Computer für Dienstleistungen in Call-Centern, Banken, Versicherungen und Anwaltskanzleien zum Einsatz. Der Wegfall von Routinearbeiten führt dazu, dass Mitarbeitende und Führungskräfte vor allem unplanbare sowie koordinative, kommunikative und kreative Arbeiten übernehmen. Monotonie am Arbeitsplatz gibt es nicht mehr! Menschen müssen Abläufe steuern und Teamarbeit organisieren. Die Arbeit wird anspruchsvoller und verlangt eine gute Aus- und regelmäßige Weiterbildung. Neben Fachwissen und Sozialkompetenz sind Verantwortungsbereitschaft und Neugier gefragt. Nicht nur in Konzernen, sondern überall.
2. Veränderung durch Digitalisierung und gesellschaftlichen Wertewandel
Die Auswirkungen der Digitalisierung bildet nur die technische Seite der Veränderung ab. Zugleich erleben die Unternehmen einen grundsätzlichen Wertewandel: Die Generation Y hat neue Anforderungen an das Arbeitsleben. Sie will mitreden, gestalten und sinnerfüllt arbeiten. Vor dem Hintergrund von Diversity, Gleichberechtigung sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben Mitarbeitende heute andere Erwartungen an Arbeit. Sie wünschen sich regelmäßige Rückmeldungen und einen ständigen Dialog mit ihren Führungskräften. Kommunikation auf Augenhöhe ist ihnen genauso wichtig wie mehr Transparenz und Beteiligung im Unternehmen. Sie wollen gelebte Werte und weniger Trennung von Arbeit und Privatleben. Damit weichen klassische Rollenbilder auf, es entstehen individuellere und vielfältigere Lebensentwürfe.
Doch nicht alle Angehörigen der Generation Y sind gleich. Zugleich prallen sie auf andere Generationen im Unternehmen – mit klassischen Denkweisen, Karrieren und Hierarchie-vorstellungen. Damit treffen auch in gesellschaftlicher Hinsicht Altes und Neues unmittelbar aufeinander. Diese Gleichzeitigkeit ist eine große Herausforderung für die Führungskräfte und führt zu neuen Unternehmenskulturen.
3. Wissen ist die neue Währung
„Wissen ist Macht“ gilt heute nur noch in dem Sinne, dass diese Macht geteilt wird. Denn heute muss Wissen fließen, damit Mitarbeiter und Führungskräfte an einem Strang ziehen können. Da die Informationsmenge unaufhörlich wächst, benötigen Mitarbeiter immer mehr Spezialisierung. Während die Zukunft der Ungelernten offen bleibt, ist für die „Wissensarbeiter“ klar: Sie müssen sich ständig mit anderen Spezialisten austauschen. Dafür brauchen sie durchlässige Strukturen und Entscheidungsgewalt. Nur so lässt sich vermeiden, dass Entscheidungen „von oben“ nichts mit der Realität zu tun haben.
4. Führen 4.0 – Vertrauen ist wichtiger als Präsenz
Vertrauen ist gut – Kontrolle nicht möglich. Angesichts der wachsenden Komplexität der Entscheidungen und Ereignisse hängt gute Führung heute weniger von Kontrolle und Disziplin als von Flexibilität und Vertrauen ab. In der vernetzten Welt lässt sich Arbeit ohnehin nicht mehr so kontrollieren wie früher. Aber das ist in einer Kultur des gleichberechtigten Miteinanders auch nicht nötig. Denn für Berufstätige wird es weniger Hierarchie und mehr Verantwortung geben. Deshalb prognostizierte Prof. Dr. Axel Kruse, Geschäftsführer von nextpractice, schon jetzt: „Der selbstbestimmte Mensch wird zum Dreh- und Angelpunkt der Arbeitswelt.“ Das macht Führung nicht überflüssig, nur sozialer – mehr auf Augenhöhe. Die neuen Chefs überzeugen und motivieren durch Präsenz und Persönlichkeit. Sie dürfen nicht hinter den vielfältigen technischen Möglichkeiten verschwinden, sondern müssen sich zeigen.
5. Gute Führung? Eine Frage der Zeit!
Im digitalen Zeitalter brauchen Führungskräfte mehr Zeit für Koordination und Kommunikation. Sie müssen E-Mails beantworten, in sozialen Netzwerken präsent sein und den internen Informationsfluss verfolgen. Hinzu kommt, dass sie mehr koordinieren und direkt mit ihren Mitarbeitern kommunizieren müssen. Motivierte Mitarbeiter mit komplexen Aufgaben und Verantwortung verlangen häufiger nach Rücksprache und Feedback. Zudem hat die Digitalisierung viele Prozesse beschleunigt, so dass auch Führungskräfte schneller entscheiden müssen. Nur mit Autorität kommt man da nicht weit. Führungskräfte müssen reflektieren, zuhören und reden – dafür brauchen sie Zeit.
6. Emotionen und Inspiration – die neuen Erfolgsfaktoren guter Führung
Wenn intelligent vernetzte Technik die planbaren Arbeiten übernimmt, müssen Menschen alles andere machen. Sie brauchen soziale Kompetenz, um die richtigen Entscheidungen zu fällen. Vor allem in Branchen, die durch den „Faktor Mensch“ wenig vorhersehbar sind und immer wichtiger werden wie zum Beispiel in der Pflege- und Gesundheitsbereich. Mit Hilfe von Kreativität, Emotionen und Intuition können Menschen ihre Erfahrungen in Wissen verwandeln. Damit entscheiden künftig diese Fähigkeiten über Erfolg und Misserfolg. Paradox; aber wahr: Die neue Technik erfordert mehr menschliche Qualitäten. Und mehr Führung. Angesichts der technischen Möglichkeiten und flexiblen Rahmenbedingungen können Mitarbeitenden und Führungskräften ihre Aufgaben nur kollegial lösen. Führungskräfte müssen Visionäre sein und zugleich ein allgemein vernetztes Arbeiten für alle ermöglichen.
Fazit: Was heißt das für kleine und mittelständische Unternehmen?
Kleine und mittelständische Unternehmen sind von dem Wandel des Arbeitslebens genauso betroffen wie große Konzerne. Doch sie können viel besser auf die Veränderungen reagieren. Denn in kleineren Systemen gibt es weniger Akteure und kürzere Informationswege. Entscheidungen lassen sich einfacher treffen. Da sich Mitarbeitende und Management häufiger begegnen, gibt es mehr direkten Austausch. Durch diese Nähe fühlen sich Mitarbeitende in der Regel besser wahrgenommen, viele Unsicherheiten entstehen gar nicht erst und Werte sind ohnehin sichtbarer. Die Führungsriege ist nicht sehr groß und es besteht die Möglichkeit des gemeinsamen, praxisnahen Lernens im Arbeitsalltag. Diese Voraussetzungen bringt kleine und mittelständische Unternehmen in die Pole Position. Sie können die Vorreiter einer neuen Arbeitswelt werden.
Das sind meine Gedanken zu dem Thema.
Wie erleben Sie den Wandel in Ihrem Unternehmen?
Welche Erfahrungen haben Sie mit veränderten Arbeitsbedingungen und Erwartungen Ihrer Mitarbeiter gemacht?
Wie gestalten Sie Führen 4.0?
Erzählen Sie mir davon!
Quellen:
• BMAS Grünbuch, • www.arbeitenviernull.de, • www.arbeiten4punkt.org, • www.forum-gute-Fuehrung.de,
• Kreyenberg/Allinger: Führen 2.0 – Führungskonzepte für die Zukunft. • Gebhardt/Hofmann/Roehl: Zukunftsfähige Führung. Bertelsmann Stiftung 2015 • Eigene Mitschriften auf dem Kongress Führungs-Autorität am 17. + 18.09.15 in Heidelberg (https://cx-services.com/htx12/fat15.php)