Montag, 10:00 Uhr Teamsitzung bei ac.consult. Drei Berater sitzen in Aachen vor ihren Rechnern, eine Kollegin schaut in Berlin auf den Bildschirm. Alle befinden sich im virtuellen Besprechungsraum. Als erstes wird der „Tatort“ vom Vorabend analysiert. „Wer war denn nun der Mörder?“ „Gegenfrage: Gab es eine Leiche?“ Ratlose Gesichter, dann lautes Gelächter an allen Monitoren „Ok, Punkt eins bleibt offen. Was steht sonst auf der Tagesordnung?“ Es wird berichtet und diskutiert, was gerade an Kundenthemen anliegt. Wie in „analogen Zeiten“ dauert die Teamsitzung gut anderthalb Stunden. Danach sind aktuelle Projekte besprochen, Aufgaben verteilt und die Woche kann losgehen. Eine letzte Bemerkung: „Nächste Woche gucken wir Rosamunde Pilcher, da verstehen alle den Plot – und die Landschaft ist schöner.“ Gelächter, gute Wünsche, alle verlassen den virtuellen Besprechungsraum.
„Naja, ganz so klappt es noch nicht“, gibt Anne Storcks zu. „Aber da wollen wir hin.“ Da ac.consult das Geschäft in Berlin ausbaut, stehen die vier Berater vor Fragen, die sie bislang nur mit ihren Kunden erörtert haben: Wie funktioniert eigentlich ein Team auf Distanz?
Von der Realität überholt
Es ist vermutlich Ironie des Schicksals: Vier Kommunikationsexperten drohen an der Kommunikation zu scheitern. Aus einem einfachen Grund: Es ging nicht um Kunden, sondern um das eigene Team. ac.consult erfährt einen schleichenden Veränderungsprozess, bei dem sich Aufmerksamkeit und Präsenz auf zwei Orte verteilen. Solche Phasen haben alle vier Berater schon begleitet – doch für das eigene Team erst nicht ernst und dann auf die leichte Schulter genommen. „Es ist schon paradox: Wenn es um unsere Kunden geht, sind wir gut vorbereitet und haben kluge Konzepte wie zum Beispiel beim Distanz-Coaching. Bei anderen wissen wir genau, was zu tun ist. Für uns selbst jedoch nicht. Nun versuchen wir eine Kommunikationskultur zu entwickeln, die zu den neuen Umständen passt.“ Arbeit muss anders organisiert, die Besprechungskultur verändert und der Teamgeist neu beschworen werden.
Fehlen als Normalzustand – Können Teams auf Entfernung funktionieren?
Der Umgang mit Distanz betrifft nicht nur internationale Teams der Global Player, für die Videokonferenzen mit London, Frankfurt und Singapur normal sind. Auch Mitarbeiter, die mehrere Standorte betreuen, keine volle Stelle haben oder häufig im Home Office arbeiten, müssen die Nähe zum Team auf neuen Wegen suchen. Hier nehmen soziale Netzwerke und die digitale Kommunikation eine wichtige Rolle ein. Sie ermöglichen das Dabeisein auch über große Entfernungen. „Aber wir mussten lernen, welche Kommunikationswege wir wie einsetzen. Und wir haben gemerkt, dass private Befindlichkeiten am Bildschirm oder am Hörer schwer auszumachen sind“, erzählt Anne Storcks. Doch gerade das Eingehen auf Emotionen und persönliche Begegnungen fördern den Teamgeist. Und auch bei der Zusammenarbeit kommt es doch darauf an, das Gemeinsame zu stärken. Was also tun, damit sich niemand abgehängt fühlt?
Gleiche Bedingungen für alle
Teambesprechungen per Videokonferenz können die klassische „analoge“ Sitzung in einem Raum durchaus ersetzen. ac.consult hat Meetings jedoch zunächst so gestaltet, dass in Aachen drei Kollegen gemeinsam vor dem Rechner saßen oder vor einem Telefon und in Berlin eine Beraterin. Doch damit ist die Einzelperson von der nonverbalen Kommunikation ausgeschlossen – das schafft noch mehr Distanz. „Wir haben gemerkt, dass ein Ungleichgewicht entsteht: Die Kollegen in Aachen haben Blickkontakt, eine bleibt allein. Wir machen Witze, in Berlin bleibt es stumm. Das geht nicht.“, so Anne Storcks. Deshalb sind nun Teamsitzungen unter gleichen Bedingungen für alle geplant. Alle müssen allein den virtuellen Raum betreten und dort gemeinsam agieren. „Wir wollen nicht mehr, dass virtuelle Meetings nur die zweitbeste Lösung ist. Sie sind gleichwertig. Außerdem können wir nicht darauf warten, dass wir alle vier zusammenkommen. Das geschieht immer seltener. Wir müssen Alternativen finden, sonst bleibt die Arbeit liegen.“ Dabei eröffnen sich sogar neue Möglichkeiten, das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder zu stärken.
Erfolgsfaktor virtuelle Nähe
Nähe lässt sich dank digitaler Kommunikation schnell herstellen und ermöglicht auch die Präsenz in zwei Welten. So sind Seminarteilnehmer, die ein interessantes Chart sofort an ihr Team schicken, zugleich in der Fortbildung und bei ihrem Team. Das stärkt das Gefühl von Gemeinsamkeit und Verantwortung, und zwar auf beiden Seiten der „Leitung“. Dazu trägt auch eine virtuelle Kultur bei, die vom Austausch in Echtzeit lebt. Hier dient die digitale Community als Vorbild: Alle schauen sich einen Film an und sprechen im Chat darüber – egal, wo der Film gerade gesehen wird. Für den Aufbau einer neuen Kommunikationskultur kann auch das Festhalten an alten Gewohnheiten wie feste Uhrzeiten und Wochentage hilfreich sein. So lässt sich das analoge mit dem digitalen Zeitalter verbinden.
Doch wie lassen sich gute Grundlagen für virtuelle Nähe schaffen? Es ist gut, wenn sich alle sehen und hören können. Oft hilft es auch, wenn Mitschriften sofort für alle sichtbar sind und dadurch der thematische Austausch angeregt wird. „Wir haben aber auch festgestellt, dass die Wahl der kommunikativen Mittel auch vom Alter abhängt. Mit den Lebensjahren kann die Distanz zu digitalen Medien steigen. Und das ist keine Frage der Bedienung, sondern der persönlichen Distanz zu technischen Kommunikationsmitteln. Außerdem haben wir gelernt, darauf zu achten: Was passt zur Sach- und was zur Beziehungsebene? Welche Medien eignen sich für wen?“
Distanz diszipliniert
Natürlich hat das Team von ac.consult das Fehlen von Team-Mitgliedern als Manko empfunden. Aber es hat auch Vorteile: Gespräche werden verbindlicher. „Sachthemen funktionieren besser. Während wir im Büro Meetings gern spontan verschoben haben, klappen Telefontermine sehr gut. Vorab festgelegte Themen bereiten wir gut vor und Zeit fürs private Plaudern bleibt auch noch.“ Letzteres ist wichtig: Denn während das Besprechen, Delegieren und Berichterstatten über Projekte virtuell meist kein Problem darstellt, gibt bei Videokonferenzen in großer Runde kaum jemand Einblicke ins Familienleben oder verabredet sich zum Mittag. Für die persönliche Ebene und die Kontaktpflege müssen also andere Kanäle her. „Das Zwischenmenschliche lässt sich nicht so einfach in den virtuellen Raum transportieren. Da haben wir noch keine optimale Lösung gefunden. Da probieren wir viel rum. Immerhin tauschen wir uns in unserem neuen gemeinsamen Chat locker aus. Das hilft schon mal. Dabei haben wir aber auch gemerkt, dass jeder ein anderes persönliches Mediennutzungsverhalten hat“, meint Anne Storcks. „Hier geht die Suche nach geeigneten Kommunikationsformen weiter. Gut ist, dass wir nicht mehr nur genervt davon sind, sondern auch Freude am Ausprobieren entwickelt haben.“